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Aufklärungsfeminismus in Chongqing, September 2025

Aktualisiert: 14. Okt.


Chongqing 重庆liegt im Südwesten Chinas am Zusammenfluss der Flüsse Jangtse 扬子江 und Jialing 嘉陵. Es ist eine der vier regierungsunmittelbaren Städte Chinas und eines der größten urbanen Zentren des Landes – in der gesamten Provinz Chongqing leben ca. 30 Millionen Menschen! Schon im alten China avancierte Chongqing zum Handelszentrum und 1937, nach dem Massaker von Nanjing 南京 zu Beginn des zweiten chinesisch-japanischen Kriegs, war es kurze Zeit Hauptstadt Chinas. Drei Stunden fliegt man von Shanghai 上海 etwa Richtung Westen, um in diese altehrwürdige und zugleich hochmodern Stadt zu gelangen, von der ich zuvor noch nie etwas gehört hatte.


Schon bei der Ankunft am Flughafen Chongqing und einer ersten Rundfahrt hat mich die ganz besondere Anmutung der Stadt fasziniert: Sie ist umgeben von sanften Hügeln, über ‚Hundert Treppen‘ sind alte Wohn- und Geschäftshäuser in die steilen Berghänge integriert. Hightech-Autobahnen in einer artistischen Straßenführung  und eine magnetische Schwebebahn gehören auch zum Stadtbild.  


Hightech- und Hügel-Stadt Chongqing bei Tag und Nacht


Chongqing hat auch eine große Fremdsprachenuni, die Sichuan International Studies University. Hier lehrt die Germanistin Prof. Dr. Yalin Feng, die u.a. Günter Grass ins Chinesische übersetzt hat. Sie hatte mich zu einem Vortrag zu Christiana Mariana Ziegler in ihr Institut in die „Wolfgang Frühwald-Bibliothek“ eingeladen.


In der Frühwald-Bibliothek der Sisu


Es war eine spannende Erfahrung, mit Studierenden, Doktorand*innen und Kolleginnen aus Chongqing über ‚unsere‘ Autorin und ihre Texte, insbesondere zu Aspekten der Emanzipation und Bildung von Frauen zu diskutieren. Viele Teilnehmende waren schon in der Vorbereitung von diesem Thema überrascht, denn die deutsche Aufklärung verbanden sie bislang vor allem mit Lessing, Schiller und Kant. Auch die satirische Ader und die musikalische Seite der Autorin fanden Anklang.


Mit der Germanistik-Gruppe der Sisu nach dem Seminar-Tag; Stadttour mit Studentinnen; Campus der Sisu


Beeindruckend war, wie akribisch sich die Teilnehmenden vorbereitet hatten. Alle hatten Aufsätze zum Thema gelesen und sich auf unserer Website auf die Diskussion eingestimmt. Auch junge Studentinnen waren mutig und formulierten Fragen etwa zur Bedeutung Zieglers in der Literaturgeschichte.


Ich habe meinerseits erfahren, dass auch die chinesische Literatur eine ganze Reihe erstklassiger Autorinnen aufzuweisen hat, z.B. Li Qingzhao, die um 1100 lebte, zur Zeit der Song-Dynastie. Sie war eine singende Dichterin, die musikalische Lyrik schrieb und sich ihrem Ehemann widersetzte, schließlich sogar die Scheidung erwirkte und dabei kurzzeitig im Gefängnis landete – ein dramatisches Leben, das sie in ihrer Autobiographie selbst beschrieben hat. Ihre formvollendete Lyrik (词 cí) ist bis heute in China bekannt.  Die deutsche Ausgabe ist zu empfehlen:

Dorothee Dauber: Geschliffene Jade. Zum Mythos der Song-Dichterin Li Qingzhao (1084–1155?). Frankfurt am Main u.a. 2000.

Eine junge Kollegin machte mich zudem auf Eileen Zhang (1920–1995) aufmerksam, die in ihren Romanen (auf Chinesisch und Englisch) das Shanghai der Nachkriegszeit beschreibt und v.a. genderbezogene Themen verhandelt.


Chinesische Femmes de Lettres: Li Qingzhao (1084–1155), Lyrikerin aus der Zeit der Song-Dynastie und Eileen Zhang (1920–1995), in den 1940ern ein Star der Shanghaier Literaturszene


Der Austausch in Chongqing hat gezeigt, wie lebendig Zieglers Ideen über Bildung, Autonomie und weibliche Stimme geblieben sind. Vielleicht war dies erst der Anfang eines gemeinsamen Projekts zwischen Deutschland und China, denn einige Kolleginnen haben nun Interesse bekundet, auch Ziegler ins Chinesische zu übertragen – sicher keine leichte Aufgabe, aber auf jeden Fall eine tolle Idee! :-)


 
 
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